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Der Qualitätsnachweis zeigt den Eltern, dass ihr Kind in guten Händen ist

Krebskranke Kinder verdienen die bestmögliche Behandlung. Doch was ist darunter zu verstehen? Nun haben Forschende objektive Qualitätskriterien definiert. Das helfe nicht nur Fachpersonen, sondern auch betroffenen Familien, sagt die Kinderkrebsspezialistin Katrin Scheinemann, die das Projekt geleitet hat.

Katrin Scheinemann setzt sich für eine hohe Qualität in der Behandlung von Kinderkrebs ein.

Wahrscheinlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie eine optimale Behandlung bei Kinderkrebserkrankungen auszusehen hat. Wie sind Sie vorgegangen, um zu einer objektiven Bewertung zu gelangen? 

Wir haben uns an ein mehrstufiges Verfahren gehalten. Als Erstes haben wir die wissenschaftliche Literatur systematisch durchsucht – und also geschaut, was bisher zu Qualitätskriterien veröffentlicht worden ist. Wir sind auf 18 Studien gestossen. Insgesamt führen sie rund 200 verschiedene Kriterien auf, die wir anschliessend zu 90 übergeordneten Kriterien zusammengefasst haben. In einem zweiten Schritt haben wir einen Online-Fragebogen entwickelt. Und ihn an Vertreterinnen und Vertreter der Kinderkrebsmedizin aus 32 verschiedenen Ländern geschickt, deren Gesundheitssysteme mit dem der Schweiz vergleichbar sind. So haben wir in Erfahrung gebracht, dass sich die Kinderkrebszentren in rund zwei Drittel dieser Länder entweder an national oder lokal definierten Qualitätskriterien orientieren. Zudem sind wir in den Antworten auf weitere fünf Kriterien gestossen, die wir in unsere Liste aufgenommen haben. Schliesslich haben wir in einem dritten Schritt untersucht, wie relevant die verschiedenen Qualitätskriterien sowohl für medizinische Fachpersonen wie auch für Eltern von Kindern mit Krebserkrankungen in der Schweiz sind. Dass sich betroffene Eltern mit ihrer praktischen Erfahrung am Projekt beteiligten, war für uns sehr wichtig, denn sie brachten eine weitere wertvolle Perspektive ein. 

 

Wie unterscheiden sich denn die Perspektiven von Fachpersonen und von Betroffenen? 

Wir Onkologinnen und Onkologen tendieren dazu, uns auf Kriterien zu fokussieren, die sich auf die Behandlung beziehen. Dazu gehören zum Beispiel eine möglichst niedrige Infektionsrate bei den Venenkathetern, die wir unseren jungen Patientinnen und Patienten für das Verabreichen der Chemotherapie anlegen müssen. Oder eine möglichst baldige Behandlung mit Antibiotika, wenn ein Kind mit hohem Fieber ins Spital kommt. Falls das Fieber von einem bakteriellen Infekt stammt, ist Zeit ein kritischer Faktor. Denn aufgrund der Chemotherapie ist das Immunsystem des Kindes geschwächt und nicht in der Lage, die Bakterien zu bekämpfen, was dann rasch zu einer tödlichen Blutvergiftung führen kann. 

Für die Eltern von krebskranken Kindern stehen auch andere Sachen im Vordergrund. Etwa, dass sie nicht zuerst zur allgemeinen Notfallaufnahme müssen, wenn sich der Zustand des Kindes plötzlich verschlechtert, sondern direkt zu uns auf die kinderonkologische Abteilung kommen können. Wir haben in unserer Studie zudem gesehen, dass viele Familien sehr dankbar sind für die Unterstützung durch die psycho-onkologische Begleitung oder durch den Sozialdienst. Er kann den Eltern zum Beispiel darin behilflich sein, bei ihrem Arbeitgeber einen Betreuungsurlaub zu beantragen. Viele Eltern sind auch froh um die Ernährungsberatung, denn sie zeigt ihnen auf, was sie selbst machen können, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. 

 

Offenbar sind vielen Eltern auch Angebote ausserhalb der eigentlichen medizinischen Behandlung sehr wichtig. 

Ja, wir Kinderonkologinnen und -onkologen leisten nur einen kleinen Anteil. Wir gehören zu einem grossen Team, das den betroffenen Kindern – sowie ihren Geschwistern und Eltern – beisteht. Wichtig ist, dass wir dabei alle am gleichen Strick ziehen. Auch das sollen die Qualitätskriterien sicherstellen. 

 

Sind Sie vonseiten Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch auf Widerstand gestossen? 

Nein, im Gegenteil. Wir haben sehr positive Reaktionen erhalten. Und viel Anerkennung für das Verfahren, das wir gewählt haben. Uns war schon vor dem Start dieses Projekts bewusst, dass alle neun Kinderkrebszentren in der Schweiz bei der Behandlungsqualität sehr gut abschneiden. Das zeigt sich in den hohen Überlebensraten, die hiesige Kinderkrebsbetroffene im internationalen Vergleich aufweisen. Ich denke, darauf dürfen wir alle stolz sein. Gleichzeitig ist es unserer Ansicht nach wichtig, die Qualität anhand von klar definierten und nachvollziehbaren Kriterien zu messen und die Resultate transparent zu machen. Das hilft einerseits den Kinderärztinnen und -ärzten, sich ein genaues Bild vom Kinderkrebszentrum zu machen, an das sie bei Bedarf ihre jungen Patientinnen und Patienten schicken. Und andererseits hilft der Qualitätsnachweis auch betroffenen Familien. Für viele Eltern ist es beruhigend zu erfahren, dass ihr Kind in einem Spital behandelt wird, das hohe Qualitätsansprüche erfüllt. Die offengelegte Qualität versichert ihnen, dass ihr Kind in guten Händen ist – und dass wir uns mit vereinten Kräften und nach bestem Wissen und Gewissen um das Wohlergehen des Kindes kümmern. 

 

Wie geht es nun nach Abschluss dieses Forschungsprojekts weiter? 

Wir starten bei uns am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen ein Testprojekt: Wir schauen, wie wir die Qualitätskriterien ohne grossen zusätzlichen Aufwand im klinischen Alltag erfassen können. Denn wir wollen keinen Papiertiger, sondern ein alltagstaugliches Instrument erschaffen, das sinnvoll in unsere Arbeitsabläufe integriert werden kann. 
 

Projekt-Nummer: HSR-5219-11-2020