Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die finanziellen Nebenwirkungen der Protonentherapie zu untersuchen?
Angefangen hat das, als mir vor einigen Jahren aufgefallen war, wie ein damals 16-jähriger Patient immer allein im Wartezimmer sass. Als ich ihn gefragt habe, wo seine Eltern sind, stellte sich heraus, dass sich seine alleinerziehende Mutter die tägliche Zugreise von St. Gallen bis zu uns ans Paul Scherrer Institut in Villigen finanziell nicht leisten konnte und sie ausserdem arbeiten gehen musste. Da ist mir erstmals bewusst geworden, dass die Fahrtkosten hier in der Schweiz aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. In Österreich, wo ich ursprünglich herkomme, ist das nicht so. Seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich bin vielen weiteren ähnlichen Fällen begegnet. Aber darüber hinaus wollten wir einen systematischen Überblick über das Ausmass und die Auswirkungen der finanziellen Belastung unserer Patientinnen und Patienten erstellen. So ist schliesslich die Studie zustande gekommen, die wir letztes Jahr zu Ende führen konnten.
Was ist dabei herausgekommen?
Wir haben 90 erwachsene, sowie die Eltern von 56 minderjährigen Patientinnen und Patienten gebeten, nach der Behandlung einen Fragebogen auszufüllen, um zu erfassen, wen finanzielle Sorgen plagen. Auf diesen Fragebögen stehen jeweils zwölf Aussagen, denen man auf einer Skala von 0 («überhaupt nicht») bis 4 («sehr») zustimmen kann. Zum Beispiel: «Ich bin in der Lage, meine monatlichen Ausgaben zu zahlen» oder «Ich bin zufrieden mit meiner finanziellen Situation». Wir haben die Antworten am Schluss in einer Zahl, einem so genannten Score, nach einer vorgegebenen Methode zusammengefasst. Menschen mit einem tiefen Score geht es finanziell nicht gut. Das war in unserer Studie bei fast einem Viertel aller Befragten der Fall. Zudem hat sich gezeigt, dass 43 Prozent der Befragten ihre Ersparnisse anbrauchen mussten. 37 Prozent mussten den Gürtel etwas enger schnallen: Sie haben weniger für Freizeitaktivitäten ausgegeben, sind also weniger oft ins Restaurant oder ins Kino gegangen. Und 10 Prozent haben Geld ausleihen müssen.
Hat es Sie überrascht, dass so viele Ihrer Patientinnen und Patienten in finanzielle Schwierigkeiten geraten?
Ja, mich hat schon erstaunt, dass so viele Menschen einen Teil ihrer Ersparnisse aufgeben müssen – und dass sie das als selbstverständlich hinnehmen. Patientinnen und Patienten aus der Schweiz beteiligen sich mit dem Betrag ihrer Franchise sowie dem Selbstbehalt an ihren Krankheitskosten. Das sind oft mehrere Tausend Franken, die wir in unserer Studie noch nicht mal berücksichtigt haben, weil wir uns nur auf die Begleitkosten der Behandlung konzentriert haben.
Was schliessen Sie aus Ihren Resultaten?
Unsere Patientinnen und Patienten stecken in einer sehr schwierigen Situation. Sie leiden an einer schweren Erkrankung, die wir hier mit Protonen bestrahlen können. Die Protonentherapie bietet insbesondere auf langfristige Sicht erhebliche Vorteile: Die Strahlen zerstören die Krebszellen, aber verschonen das umliegende gesunde Gewebe, was vor allem bei Kindern und Jugendlichen wichtig ist, deren Körper sich noch entwickelt. Glücklicherweise werden die Behandlungskosten für bestimmte Indikationen von der Krankenkasse übernommen. Aber alle weiteren Kosten, die rundherum anfallen, bleiben ungedeckt. Das sind nicht nur Fahrtkosten. Einige Betroffene müssen auch auswärts essen und sich während der sechs- bis siebenwöchigen Behandlungszeit ein Zimmer nehmen, weil sie nicht jeden Tag mehrere Stunden hin und her pendeln können. Viele Familien müssen auch jemanden bezahlen, um auf die Geschwister des erkrankten Kinds aufzupassen. Alle diese Ausgaben stellen eine Belastung dar. Deshalb bräuchten viele unserer Patientinnen und Patienten eine zusätzliche Zuwendung. Denn sie können nichts dafür, dass sie diese Krankheit haben, die jetzt diese Protonentherapie erfordert.
Woher soll diese zusätzliche Zuwendung kommen?
Wir haben einen Fonds für Härtefälle gegründet, damit wir Menschen unterstützen können, die darauf angewiesen sind. Bei einem Patienten haben wir zum Beispiel gemerkt, dass er im Auto übernachtet. Können Sie sich das vorstellen? Da haben wir ihm dann ein Zimmer bezahlt. Ich bin froh, dass wir mit unserem Patientenbüro so ein tolles Team von Kolleginnen haben, die sich irrsinnig gut um unsere Patientinnen und Patienten kümmern und ihnen helfen, zum Beispiel eine preiswerte Unterkunft zu finden.
In Ihrem Schlussbericht haben Sie geschrieben, dass die finanzielle Belastung genauso toxisch sein kann wie eine Strahlentherapie.
Eine Krebstherapie ist immer auch eine toxische Belastung für den Körper, von der sich die meisten Patientinnen und Patienten allerdings rasch erholen. Aber bei der finanziellen Toxizität herrscht eine gewisse Hoffnungslosigkeit, das finde ich das Schwierige und auch Traurige daran. Den Familien wird etwas genommen, worauf sie sich freuen können, wenn die Bestrahlung vorbei ist. Sie können dann keinen Urlaub machen oder etwas Schönes unternehmen. Deshalb leiden nicht nur die Patientinnen und Patienten an den finanziellen Nebenwirkungen, sondern die ganze Familie.