Krebsforschung SchweizUnser EngagementWir bringen die Krebsforschung den Menschen näherIm Gespräch mit…Im Gespräch mit…

Thomas Cerny – Krebsforschung und Coronavirus

Prof. Dr. med. Thomas Cerny © Foto: Béatrice Devènes

Das Corona-Virus hält uns alle in Atem. Sie sind Onkologe und Wissenschaftler, was bewegt Sie zurzeit am meisten?

Thomas Cerny: Am meisten beschäftigt mich die Frage, wie wir die hohe Mortalität bei geschwächten und älteren Menschen in den Griff bekommen. Dabei bin ich froh zu sehen, wie schnell die Wissenschaft reagiert hat. Bereits jetzt kennen wir das Virus und wissen, wie es sich im Körper vermehrt und verbreitet und wie die Lungenerkrankung abläuft. Zudem sind viele klinische Studien zu neuen Therapien am Laufen. Gelingt es, geeignete Medikamente zur Behandlung von Corona zu finden, sollte die Zulassung beschleunigt werden, damit Patienten baldmöglichst therapiert werden. 

Krebsbetroffene sind in diesen Zeiten besonders verunsichert, weil sie als Risikogruppe gelten. Was macht sie so vulnerabel?

Viele Krebspatientinnen und -patienten erhalten Therapien, die das Immunsystem schwächen. Dies macht sie anfällig für alle Arten von Infektionen. Sie sind solange stark gefährdet, bis sich nach Therapieabschluss die Blutwerte normalisiert haben. Dies dauert im Schnitt drei Monate. Es gibt allerdings auch Personen, bei denen sich die Blutwerte nie ganz erholen. Diese bleiben weiterhin gefährdet, ebenso wie Personen, die an einer fortgeschrittenen oder hämatologischen Krebserkrankung leiden. Letztlich ist das individuelle Risiko aber situativ mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.

Das Immunsystem scheint eine wichtige Rolle bei der Erkrankung mit COVID-19 zu spielen.

Ja, die Stärke unseres Immunsystems bestimmt, ob wir die Krankheit ohne bedrohliche Komplikationen überstehen. Wissen über das Immunsystem ist zudem zentral, um es im Kampf gegen das Virus zu unterstützen. Hier hat die Krebsforschung einen grossen Beitrag geleistet. Sie hat wesentliche Grundlagen dafür gelegt, dass heute bekannt ist, wie das Immunsystem funktioniert, wie wir Antikörper und Immunzellen ganz gezielt im Kampf gegen Krankheiten einsetzen und diese in grossen Mengen und in hoher Qualität produzieren können. Diese Erkenntnisse kommen jetzt zum Tragen. Auch wurden bereits Impfungen entwickelt, um Krebskrankheiten zu verhindern wie beim Leberkrebs (Hepatitis B-Impfung) und Gebärmutterhalskrebs (HPV-Impfung). Eine Impfung gegen das SARS-CoV2 Virus dürfen wir mit grosser Zuversicht erwarten.

In der personalisierten Onkologie werden Antikörper gezielt eingesetzt, um das Wachstum des Tumors zu hemmen. Wieso sind Antikörper auch eine vielversprechende Waffe im Kampf gegen COVID-19?

Eine der gefürchtetsten Komplikationen bei COVID-19-Erkrankungen ist eine sich überschlagende Entzündungsreaktion, die insbesondere die Lunge und den Herzmuskel schädigt. Bestimmte Antikörper können diese Entzündungsreaktion unterbrechen, indem sie an die Rezeptoren für den entzündungsfördernden Immunbotenstoff Interleukin 6 (IL-6) binden. Dieser Antikörper wird auch in der Onkologie eingesetzt, wenn es infolge von Therapieverfahren zu starken, lebensgefährlichen Entzündungsreaktionen kommt.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Es wird immer wieder Pandemien geben. Ich wünsche mir, dass aus den jetzigen Erfahrungen Lehren gezogen werden, damit wir in Zukunft besser gerüstet sind bei solchen Pandemien. Wichtig finde ich ebenso, dass wieder vermehrt Impfungen erforscht werden. Denn diese gehören zum wirksamsten Mittel im Kampf gegen Krankheiten. Leider bringen sie den Firmen aber zu wenig Gewinn, weshalb sie kaum erforscht und weiterentwickelt werden. Dasselbe gilt sowohl für die Antibiotikaforschung als auch für  die Herstellung von Medikamenten und weiteren dringenden medizinischen Gütern. Hier müssen wir in Zukunft nationale und transnationale Lösungen finden, die krisenresistent sind.