Krebsforschung SchweizUnser EngagementWir unterstützen ForschendeBeispielhafte wissenschaftliche VorhabenDie Ärztin mit dem unstillbaren Wissensdurst

Die Ärztin mit dem unstillbaren Wissensdurst

An ihr Medizinstudium hängt Eliane Rohner gleich zwei weitere Masterabschlüsse an. Dann bricht sie mit einem Stipendium der Krebsforschung Schweiz in die USA und nach Südafrika auf, um mitzuhelfen, dem Gebärmutterhalskrebs Einhalt zu gebieten. Dieses Thema beschäftigt sie – auch als Forschungsgruppenleiterin zurück in der Schweiz – noch immer.

Ihr Büro am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern wirkt kahl. Der Arbeitstisch ist leergeräumt. Nur das Nachschlagewerk «Medical Statistics» liegt griffbereit neben dem Computer. Hinter dem Rechner sitzt mit konzentriertem, aufmerksamem Blick die Wissenschaftlerin und Ärztin Eliane Rohner. 

 

Viren, die Krebs verursachen

Rohner interessiert sich für Viren, die Krebs verursachen. Und sie setzt sich für die Vermeidung von Gebärmutterhalskrebs ein, der meistens von einer Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV) ausgeht. Im Jahr 2018 ist sie mit einem Stipendium der Krebsforschung Schweiz zu einem zweijährigen Forschungsaufenthalt im Ausland aufgebrochen, der sie zuerst in die USA und dann, unverhofft, auch nach Südafrika führte.
«Das Stipendium hat mir sowohl Einblicke in eine bekannte Uni wie auch in ein Land verschafft, in dem sehr viele Frauen an Gebärmutterhalskrebs erkranken», sagt Rohner. Mit diesem prall gefüllten Rucksack an Erfahrungen ist sie schliesslich an die Universität Bern zurückgekehrt, wo sie vor 15 Jahren noch Medizin studiert hatte. Und nun ihre eigene Forschungsgruppe aufbaut.


Interesse für weltweite Gesundheit

Doch der Reihe nach: Nach ihrem Medizinstudium ist Rohner zuerst in der Psychiatrie und Geriatrie klinisch tätig. «Mir hat die Arbeit mit Patientinnen und Patienten grundsätzlich gut gefallen», meint Rohner. «Doch in der täglichen Routine fehlte mir oft die Zeit, den Sachen auf den Grund zu gehen.» Diesem Bedürfnis kann sie in der Wissenschaft besser nachkommen. «Ich lerne sehr gerne dazu und fühle mich wohl in der Forschung», sagt Rohner.
Schon während dem Studium entwickelt sie ein Interesse für weltweite Gesundheit, oder «global health». Nach einem Praktikum in einem Spital in Ghana will sich Rohner in diesem Gebiet weiterbilden. Sie meldet sich für ein Masterstudium in International Health an der Universitätsklinik Charité in Berlin an, das allerdings erst sechs Monate später beginnt. Um die Wartezeit sinnvoll zu verbringen, interessiert sie sich für ein Praktikum am ISPM, das aber bald darauf in eine sechsjährige Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin mündet.
Aus Berlin wird nichts, Rohner bleibt in Bern und führt ihre während des Praktikums begonnenen Untersuchungen zu Gebärmutterhalskrebs im südlichen Afrika fort. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen weisen unter anderem nach, dass diese Krebsart bei Frauen mit HIV besonders häufig auftritt und dass Vorsorgeuntersuchungen zu niedrigeren Gebärmutterhalskrebsraten führen. Nebenher erwirbt Rohner den Master in Epidemiologie per Fernstudium an der London School of Hygiene and Tropical Medicine.
Doch Rohners Wissensdurst war noch nicht gestillt: «Ich wollte mehr über die Methoden erfahren und tiefer in die Grundlagen eintauchen.» Auf die Weiterbildung in Epidemiologie folgt gleich anschliessend ein Master in Statistik an der Universität Neuenburg. «Das war schon eine Herausforderung, alle diese mathematischen Formeln gleich in der ersten Woche», erzählt Rohner.
Nach dem zweiten Abschluss will Rohner an anderen Orten weiterforschen. Sie kontaktiert Fachleute an verschiedenen Hochschulen in den USA und Kanada – und entscheidet sich für die renommierte Universität von North Carolina in Chapel Hill. Sie reicht bei der Krebsforschung Schweiz ein Gesuch für ein Forschungsstipendium im Ausland ein. Mit der vagen Idee oder Absicht, irgendwann wieder in die Schweiz zurückzukehren, erinnert sich Rohner.


Nachweis von HPV im Urin

An der Elite-Uni beteiligt sich Rohner im Forschungsteam von Jennifer Smith an der Entwicklung von Urintests für HPV – im Bestreben, die Vorsorgeuntersuchungen zugänglicher zu machen. Denn viele Frauen aus einkommensschwachen Schichten werden von den aktuellen Vorsorgeprogrammen nicht erreicht, wie zahlreiche Studien belegen. Deshalb verpassen einige von ihnen die Chance, einen sich entwickelnden Krebs im Gebärmutterhals in einer frühen Phase zu entdecken – und entfernen zu lassen.
Mit Smith und ihrem Team zeigt Rohner, dass tatsächlich viele Frauen den Urintest dem Gebärmutterhalsabstrich vorziehen. Und dass der Test bei vier von fünf Frauen mit hochgradigen Veränderungen am Gebärmutterhals tatsächlich auch Spuren der HP-Viren im Urin auffindet. «Das ist noch nicht so gut wie beim Abstrich», sagt Rohner. Trotzdem sei es sinnvoll, an einem solchen Test zu arbeiten. «Wenn wir mehr Frauen dazu bringen können, sich vorsorglich zu untersuchen, können wir mehr Gebärmutterhalserkrankungen verhindern.»
Für einen anderen Teil ihres Projekts hatte Rohner eigentlich geplant, eine Kosten-Effektivitäts-Analyse der neuen HPV-Tests durchzuführen. Doch weil die Daten fehlten, liess sich dieser Teil nicht realisieren. «Deshalb schlug ich eine Änderung des Forschungsplans vor», sagt Rohner. Sie fädelt eine Zusammenarbeit mit Carla Chibwesha ein, die Professorin an der Universität North Carolina und an der Wits Universität in Johannesburg ist.


Unverhofft nach Südafrika

So landet Rohner schliesslich in Südafrika. Der Wechsel vom beschaulichen Uni-Städtchen in den USA nach Johannesburg – einem «Moloch und riesigen melting pot» – ist bedeutend. Doch Rohner wirft dieser Wechsel nicht aus der Bahn. «Wenn man die Gelegenheiten beim Schopf packt und sich auf ungeplante Veränderungen einlässt, sind sie umso bereichernder», erklärt sie. Rohner assistiert in der Klinik und beugt sich über «Routinedaten aus elektronischen Krankenakten, um das Kontinuum der Gebärmutterhalskrebsvorsorge und -versorgung bei Frauen mit HIV zu beschreiben», hält Rohner im Abschlussbericht ihres Projekts fest.
Noch während ihres Aufenthalts in Johannesburg erfährt sie, dass ihre ehemalige Forschungsgruppenleiterin am ISPM an das Tropeninstitut nach Basel wechselt – und in Bern deshalb demnächst eine interessante Position frei wird. Sie bewirbt sich und erhält die Stelle, die auf fünf Jahre befristet ist. Was danach folgt, ist offen.
Vorerst hat Rohner in ihrer neuen Funktion alle Hände voll zu tun. Sie arbeitet an ihrer Habilitation, die sie demnächst einreichen möchte. Und treibt dazu den Aufbau ihres eigenen Forschungsteams voran. «Meine Priorität liegt auf dem Erstellen eines soliden Fundaments», sagt Rohner. Sie beschäftigt sich mit Projektplanungs-Software, mit Fragen zum Budget – und zur Mitarbeiterführung. «Mir ist es ein Anliegen, dafür zu sorgen, dass es in meinem Team für alle stimmt.»
Das alles nimmt Zeit in Anspruch – und zahlt sich erst später aus. Es braucht eine gute Portion Mut und Ausdauer, um dem Karriere- und Publikationsdruck im akademischen Betrieb entgegenzuhalten. Doch Rohner kann dem Wettbewerbsgedanken nicht viel abgewinnen. «Wir generieren Wissen, das der Allgemeinheit dient. Deshalb finde ich es sinnvoller zusammenzuarbeiten als sich zu konkurrenzieren», sagt Rohner. Erst wenn man zusammenspanne, könne man die Expertisen verschränken und die individuellen Stärken optimal nutzen.
 

Dr. med. Eliane Rohner

Die 39-jährige Medizinerin mit einem Master in Epidemiologie und einem weiteren in Statistik leitet seit Juli 2020 an der Universität Bern ein Forschungsteam zum Thema Krebs bei Menschen mit HIV. «Ich will mich bei allen Menschen bedanken, die für die Krebsforschung spenden», sagt Rohner. «Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis einer Erkrankung, die ganz viele verschiedene Menschen betrifft.»