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Der schmale Grat zwischen Vertrauen und Misstrauen

Was macht es aus, wenn Brustkrebspatientinnen Vertrauen schöpfen? Und woran liegt es, wenn sie es verlieren? Pflegewissenschaftlerinnen haben zwölf Betroffene vom Moment der Diagnose bis nach Behandlungsende begleitet – und in ihrem Projekt differenzierte Antworten auf diese Fragen gefunden.

Andrea Kobleder und ihr Team an einer Besprechung der Studienresultate

Vertrauen ist ein schillernder Begriff. Denn einerseits scheinen wir intuitiv eine klare Vorstellung davon zu haben – meist merken sogar Vierjährige rasch, wie vertrauenswürdig ihr Gegenüber ist. Doch andererseits fällt es schwer, den Begriff klar zu definieren. «Vertrauen beinhaltet ein optimistisches Element in einem Moment der Verwundbarkeit. [...] Es überbrückt einen Moment der Ungewissheit über das Verhalten einer anderen Partei», schreibt das Team um Andrea Kobleder vom Institut für Gesundheitswissenschaften der Ostschweizer Fachhochschule in St. Gallen in einem Fachbeitrag über ihre Forschungsarbeiten.

 

Hilfreiche digitale Tagebücher

In einer von der Stiftung Krebsforschung Schweiz geförderten Studie haben Kobleder und ihr Team zwölf Brustkrebspatientinnen auf ihrem Behandlungspfad begleitet, von der Diagnose bis zu den Kontrolluntersuchungen nach Ende der Behandlung, im Schnitt ein knappes Jahr später. Die Forschenden führten mit den Studienteilnehmerinnen regelmässige Gespräche durch, baten sie, Fragebögen auszufüllen – und statteten sie mit einem Tablet aus, auf dem sie sich Notizen machen oder Textnachrichten an die Forschenden verschicken konnten.

«Viele Nachrichten sind aus der Situation heraus verfasst. Sie halten unmittelbare Eindrücke fest und ergänzen so das Bild, das wir uns aufgrund der Aussagen in den Gesprächen und Fragebögen machen», sagt Kobleder. Und schiebt nach: «Eigentlich haben wir diese digitalen Tagebücher als Datenerhebungsmethode konzipiert. Erst im Nachhinein haben wir gemerkt, dass sie auch eine Art Intervention sind: Viele Teilnehmerinnen haben sich nach dem Studienende bei uns für die Möglichkeit bedankt, ihr Befinden niederzuschreiben. Das empfanden sie als hilfreich.»

Auch den Forschenden haben die digitalen Tagebücher geholfen. Sie erlaubten ihnen, nachzuzeichnen, wie sich das Vertrauen der Studienteilnehmerinnen mit der Zeit entwickelt: Als Erstes mussten die Frauen den Schock der Krebsdiagnose verarbeiten. Wenn sie sich danach auf die Behandlung einliessen, hatten sie in der Regel einen grossen Vertrauensvorschuss ins Gesundheitssystem. Kobleder ist eine Nachricht einer Teilnehmerin besonders in Erinnerung geblieben. «Sie hat geschrieben: Ich kann mir den Krebs ja nicht selbst rausschneiden, also bin ich auf andere Personen angewiesen, denen ich vertrauen muss.»

 

Eine beängstigende Maschinerie, die zugleich Sicherheit vermittelt

Viele Teilnehmerinnen betrachteten die Behandlung als notwendigen Weg zum Überleben, der von ihnen verlangte, die Kontrolle über ihren Körper ein Stück weit abzugeben. Die Betroffenen gaben an, dass sie sich für ihre Behandlung der Maschinerie auslieferten, «dem Karussell, das sich dauernd weiterdreht». Kobleder erwähnt ein weiteres, drastisches Sprachbild, das eine andere Teilnehmerin verwendet hat. «Sie fühlte sich wie auf einem Fliessband: Ihr Kopf festgehalten von einer Art Saugnapf, während an ihrem Körper von Zeit zu Zeit etwas aufgeschraubt oder entfernt wird.» Das tönt beängstigend – und doch fühlten sich die meisten durch die eingespielten Abläufe im Spital beruhigt. «Die Maschinerie vermittelt auch Sicherheit», sagt Kobleder.

Die Studie legt dar, dass es Momente gibt, in denen viele Teilnehmerinnen besonders verletzlich sind. Wenig überraschend haben sich in erster Linie Übergänge zwischen verschiedenen Behandlungsphasen als heikel erwiesen. Wenn die Studienteilnehmerinnen etwa die Chemotherapie abgeschlossen hatten, mussten sie sich an eine neue Umgebung und ein anderes Behandlungsteam gewöhnen, sobald sie mit der Bestrahlung begannen. «Die Rädchen im fragmentierten System spielen nicht immer zusammen», sagt Kobleder. «Wenn das Betroffenen auffällt, weckt das ihr Misstrauen. Zum Beispiel haben mehrere Teilnehmerinnen berichtet, dass sie von unterschiedlichen Stellen widersprüchliche Informationen erhalten haben.»

Solche sich widersprechenden Informationen müssen nicht unbedingt falsch sein. So kann sich der Behandlungsvorschlag, den die ärztliche Fachperson mit der Patientin bespricht, nach der Besprechung im Tumorboard des Spitals noch ändern. «Für die Onkologinnen und Onkologen ist es normal, die Dauer einer Chemotherapie anzupassen. Doch für die Betroffenen ist es einschneidend, wenn sie statt einem halben Jahr nur zwei Zyklen durchmachen müssen», sagt Kobleder. «Gesundheitsfachpersonen haben gegenüber den Patientinnen und Patienten meist einen Wissensvorsprung. Das ist vielen von uns zu wenig bewusst.»

 

Vertrauensbildende Änderungen an den Haltungen

Natürlich interessierten sich die Forschenden auch dafür, was das Vertrauen der Studienteilnehmerinnen stärkte. Vertrauensbildend wirkte etwa, wenn die Teilnehmerinnen das Gefühl hatten, dass sie nicht nur als Brustkrebsfall, sondern auch als Person wahrgenommen wurden. Oder wenn eine Gesundheitsfachperson ehrlich mit ihnen kommunizierte und offen zugab, leider keine Antwort auf eine aufgeworfene Frage zu kennen. Aus den Resultaten der Forschenden lässt sich ableiten, wie man mehr vertrauensfördernde Elemente in die Behandlung einfliessen lassen kann: «Es braucht keine massiven Änderungen des Systems», sagt Kobleder. «Meist genügen schon kleine Änderungen an der Haltung der Personen.»

 

Projekt-Nummer: KFS-5113-08-2020

Podcast: Wissen gegen Krebs (Folge 28)

«Beim zweiten Mal war alles schwieriger zu akzeptieren.» Maria erkrankte 2017 an Brustkrebs und hatte wenige Jahre später überraschend einen Rückfall. Heute geht es ihr wieder gut, aber ihr Vertrauen in das Gesundheitssystem und in den eigenen Körper wurde zwischendurch tief erschüttert. Ihre Erfahrungen bringt sie nun als Mitglied des Forschungsteams in eine Studie ein, die von Prof. Andrea Kobleder von der Ostschweizer Fachhochschule geleitet wird. Ziel der Studie ist es, konkrete Massnahmen im Therapiealltag aufzuzeigen, die das Vertrauen stärken. Damit sich Menschen wie Maria nicht als Nummer, sondern aufgehoben fühlen, wenn sie etwa mit dem Namen angesprochen werden: «Das sind Kleinigkeiten, die aber das Vertrauen in sich selbst wieder stärken – und eben auch in das Gesundheitssystem.»