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Menschen mit einem erblich bedingten Krebsrisiko helfen

Genetische Veränderungen, die Krebs begünstigen, werden meist von Generation zu Generation weitervererbt. Deshalb tragen oft mehrere Mitglieder einer Familie eine Krebsmutation: Wie gehen sie damit um? Das untersucht eine schweizweite Studie.

Maria Katapodi von der Universität Basel

In der Schweiz erkranken jedes Jahr rund 45’000 Personen an Krebs. Ungefähr 10 Prozent der Krebserkrankungen sind erblich bedingt. Das heisst, sie sind auf Veränderungen im Erbgut, so genannte pathogene Mutationen, zurückzuführen, die das Entstehen von Tumoren begünstigen. Die Trägerinnen und Träger einer solchen Mutation wissen meist nicht darüber Bescheid. Viele von ihnen erkranken an Krebs, bevor sie fünfzig Jahre alt sind und an Krebsfrüherkennungsprogrammen teilnehmen können. Doch die Aussichten sind umso besser, je früher eine Krebserkrankung entdeckt und behandelt wird. «Deshalb ist es wichtig, aktiv nach Personen mit Mutationen zu suchen, um ihnen genetische Tests und allfällige Massnahmen zur Risikoreduktion anzubieten», sagt Maria Katapodi von der Universität Basel.

 

Kaskadenartige Suche nach Mutationen

Wie aber findet man Personen mit Mutationen? Theoretisch wäre es möglich, das Erbgut der ganzen Bevölkerung zu bestimmen. Doch das wäre unverhältnismässig teuer. Katapodi verfolgt einen viel günstigeren Ansatz. Er beruht darauf, dass krebsauslösende Mutationen vererbt werden und deshalb in betroffenen Familien meist gehäuft vorkommen. Stellen Fachleute für Genetik bei einer Person eine Mutation fest, finden sie diese Mutation mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit auch bei der Mutter, beim Vater, bei den Geschwistern oder Kindern dieser Person. Je nachdem, ob die Mutation von der mütterlichen oder väterlichen Seite stammt, können auch die entsprechenden Onkel, Tanten, Neffen, Nichten und deren Nachfahren die Mutation in sich tragen.

Katapodi und ihr Team an der Universität Basel betreiben diese kaskadenartige Suche schon seit 2016. Die Professorin für Pflegewissenschaften hat zu diesem Zweck ein schweizweites Netzwerk geknüpft und die sogenannte Cascade-Kohortenstudie aufgebaut, die mittlerweile mehr als 600 Personen in 450 verschiedenen Familien aus drei Sprachregionen umfasst. «Wir wollen den Familien helfen, mit dem erhöhten Krebsrisiko umzugehen», sagt Katapodi und fasst sich mit der Hand ans Herz: «Wir sind wirklich sehr dankbar, dass wir dank der grosszügigen Unterstützung der Spenderinnen und Spender der Stiftung Krebsforschung Schweiz unsere Studie durchführen können.»

 

Immer grösser werdender Datenschatz

Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig. Wer teilnimmt, füllt umfassende Fragebögen mit Angaben zu Gesundheit, Lebensqualität, Vorsorgeuntersuchungen und zu Krebsfällen in der Familie aus. Die Studienteilnehmenden – einige von ihnen krebskrank, andere gesund – tragen so einen Schatz an Daten zusammen, der immer grösser wird, je länger die Studie dauert. Katapodi und ihr Team haben die Cascade-Studie für Untersuchungen in der Schweiz entworfen. Inzwischen haben auch Forschende aus Südkorea und Israel Studien auf die Beine gestellt, die in ihren Ländern den gleichen Fragestellungen nachgehen. So sind auch internationale Vergleiche möglich.

Aus den bisher in der Schweiz erhobenen Daten können die Forschenden um Katapodi ablesen, dass rund zwei Drittel der Studienteilnehmenden ihren Familienmitgliedern raten, sich genetisch testen zu lassen. In vertieften Einzelgesprächen und anhand von Diskussionen in Fokusgruppen hat Katapodis Team zudem herausgefunden, dass die meisten Teilnehmenden es vorziehen, wenn sie selbst ihre Verwandten darüber informieren, dass eine krebsauslösende Mutation in der Familie vorkommt und dass wahrscheinlich auch andere Familienmitglieder davon betroffen sind. Daraus schliessen die Forschenden, dass Gesundheitsfachpersonen die getesteten Trägerinnen und Träger einer Krebsmutation bei der Kommunikation mit ihrer Familie nicht umgehen, sondern stärker unterstützen sollten.

Denn es sind mitunter sehr schwierige und heikle Gespräche, die manchmal auch vermieden werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, etwa den Wunsch, andere Familienmitglieder vor unliebsamen Neuigkeiten zu schützen. In einem wissenschaftlichen Fachbeitrag führen die Forschenden um Katapodi die beispielhafte Aussage der 40-jährigen Federica auf: «Ich weiss, dass meine Cousine, die mit der ganzen Sache [der genetischen Testung] angefangen hat, [...] den Eindruck hatte, dass sie eine Bombe abgeworfen hatte. [...] Als sie erfuhr, dass ich positiv war, hatte sie Angst, mich zu sehen. [...] Sie hatte Angst, dass ich böse auf sie sein würde.»

 

Sicherstellen, dass jede und jeder korrekte Informationen erhält

Gleichzeitig fühlen sich viele Studienteilnehmende in der Verantwortung, ihre Familie über die Mutation und das damit einhergehende erhöhte Krebsrisiko aufzuklären. In ihrem Fachbeitrag zitieren die Forschenden auch die 34-jährige Sonia. «Ich habe mir gesagt: Ich habe etwas, das nicht gut ist. Wie kann ich es sinnvoll nutzen? [...] Es ist nicht angenehm, nicht einfach, [...] aber es sind nützliche Informationen, die man wissen muss, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Und um nicht zu sagen: Wenn wir das vorher gewusst hätten ...»

Trägerinnen und Träger einer Krebsmutation können ihr Risiko mit unterschiedlichen Massnahmen verringern, indem sie sich zum Beispiel engmaschig überwachen lassen. «Dafür entscheiden sich die meisten», sagt Katapodi. Es gibt auch die Option, sich vorsorglich die Brüste entfernen lassen, wie das etwa die berühmte Schauspielerin Angelina Jolie getan hat. «Jede Person muss für sich selbst entscheiden, was für sie richtig ist», fährt Katapodi fort. «Wir möchten dabei einfach sicherstellen, dass jede und jeder korrekte Informationen erhält. Und darauf gestützt einen bewussten Entscheid fällt.»

 

Projekt-Nummer: KFS-5293-02-2021