Krebsforschung SchweizUnser EngagementWir unterstützen ForschendeBeispielhafte wissenschaftliche VorhabenDas Potenzial der Krebsfrüherkennung besser ausschöpfen

Das Potenzial der Krebsfrüherkennung besser ausschöpfen

Dank eines Forschungsstipendiums der Stiftung Krebsforschung Schweiz konnte sich Kevin Selby in Kalifornien wichtige Methodenkenntnisse aneignen. Sie helfen ihm nun dabei zu untersuchen, wie sich die Darmkrebsvorsoge in der Schweiz verbessern lässt – und Todesfälle vermieden werden können.

Kevin Selby arbeitet an der Schnittstelle zwischen Hausarztmedizin und Forschung.

Er hat einen verschlungenen Werdegang. Kevin Selby wächst in Kanada auf, dann studiert er Biochemie in den USA – und hängt ein Medizinstudium an der angesehenen Harvard Medical School an. Im US-amerikanischen Boston lernt er auch seine zukünftige Ehepartnerin aus der Schweiz kennen. So landet er schliesslich 2012 an der Unisanté, dem universitären Zentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit in Lausanne. Hier begleitet er 2015 die Einführung des schweizweit ersten Darmkrebs-Früherkennungsprogramms im Kanton Waadt.
 

Lebensrettende Vorsorgeuntersuchungen

«Die Vorsorgeuntersuchungen können Leben retten, da man den Darmkrebs heilen kann, wenn man ihn in einem frühen Stadium erkennt», sagt Selby. «Aber in der Schweiz lassen sich nur 48 Prozent der Bevölkerung vorsorglich untersuchen.» Schon vor acht Jahren trieb Selby die Frage um, wie sich die Situation verbessern lässt. «Ich wollte meine Neugierde und meinen Wissensdrang ausleben», sagt Selby. «Doch gleichzeitig merkte ich, dass mir dafür noch bestimmte Fähigkeiten und Methodenkenntnisse fehlten.» Um diese Lücken schliessen zu können, bewirbt sich Kelby für ein zweijähriges Forschungsstipendium, das ihm 2016 zugesprochen wird.

So zieht Selby nach Kalifornien, wo er sich einerseits an der dortigen Universität in Epidemiologie und Biostatistik weiterbildet. Und wo er andererseits an der Forschungsabteilung von Kaiser Permanente untersucht, an was für Schrauben man drehen muss, um für ein erfolgreiches Darmkrebs-Früherkennungsprogramm zu sorgen. Kaiser

Permanente Northern California ist ein grosses Netzwerk für die integrierte Gesundheitsversorgung von rund 4,1 Millionen Menschen: Sie werden an 39 Spitälern und über 700 Arztpraxen behandelt und betreut.

Angehäufter Wissens- und Erfahrungsschatz

Ihre Gesundheitsdaten werden dabei elektronisch erfasst – und fliessen in eine zentrale Datenbank, wo sie für epidemiologische Auswertungen zur Verfügung stehen. «Mit diesen Daten hat die Forschungsabteilung von Kaiser Permanente schon mehrere richtungweisende Studien auf dem Gebiet der Darmkrebsvorsorge veröffentlicht», sagt Selby. Er selbst hat die Daten genutzt, um etwa nachzuweisen, dass eines der Verfahren, um einen Darmkrebs früh zu erkennen, der so genannte immunochemische Blut-im-Stuhl-Test, bei Männern besser funktioniert als bei Frauen. «Das hat damit zu tun, dass sich die Krebsvorstufen bei Frauen meist weiter vorne im Darm entwickeln – und deshalb schlechter nachgewiesen werden können», erklärt Selby. Seine Resultate sprächen dafür, inskünftig nicht nur einen, sondern verschiedene Schwellenwerte für den Test zu definieren.

2018 kehrt Selby mit seinem angehäuften Wissens- und Erfahrungsschatz zurück in die Schweiz. «Das Stipendium und die für den Erwerb zusätzlicher Qualifikationen bestimmte Zeit waren enorm hilfreich für mich», sagt Selby. In Lausanne setzt er seine Karriere als klinisch tätiger Forscher fort und nimmt wieder die Aufgaben an der «Schnittstelle von klinischer Arbeit in der Grundversorgung und innovativer Forschung» wahr, die ihm entsprechen. Auch seinem Thema bleibt er treu: Im April 2021 lanciert Selby eine klinische Studie, mit der er die Darmkrebsvorsorge verbssern will. Finanziell wird die Studie unter anderem von der Krebsliga Schweiz gefördert.
 

Zehn Mal grösserer Nutzen bei gleichem Risiko

An der Studie nehmen insgesamt über 500 Menschen teil. Alle erhalten einen Brief vom kantonalen Darmkrebs-Früherkennungsprogramm. Die Hälfte kriegt einen Brief mit allgemeinen Empfehlungen, etwa alle zehn Jahre eine Darmspiegelung zu machen. «Doch der absolute Nutzen der Darmspiegelung ist für einen 68-jährigen, übergewichtigen Raucher zehn Mal grösser als für eine 50-jährige, schlanke Nichtraucherin – obwohl die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Belastungen für beide ähnlich sind», sagt Selby. Die andere Hälfte der Studienteilnehmenden bekommt deshalb einen Brief mit weitergehenden Informationen zu ihrem individuellen Darmkrebsrisiko – und daran angepasste Empfehlungen.

Von solchen Einladungen, die den persönlichen Nutzen gegen die Risiken abwägen, erhofft sich Selby, dass sie erstens dafür sorgen, dass Personen mit niedrigem Darmkrebsrisiko vor belastenden Untersuchungen und ihren möglichen Nebenwirkungen möglichst verschont bleiben. Und zweitens könnten die personalisierten Empfehlungen dazu beitragen, die begrenzten Ressourcen in der Früherkennung verstärkt auf Personen mit hohem Darmkrebsrisiko zu richten und diese Menschen vielleicht zusätzlich motivieren, sich vorsorglich untersuchen zu lassen. Ob sich Selbys Hoffnungen bestätigen, muss sich weisen – die Studie läuft noch bis Ende Jahr. Allerdings wäre das nicht nur ihm zu wünschen: In der Schweiz sterben jedes Jahr 1700 Menschen an Darmkrebs. «Viele dieser Todesfälle liessen sich durch eine optimale Darmkrebsvorsorge verhindern», sagt Selby.