Krebsforschung SchweizUnser EngagementWir unterstützen ForschendeBeispielhafte wissenschaftliche VorhabenEinen bösen Faktor in ein hilfreiches Signal verwandeln

Einen bösen Faktor in ein hilfreiches Signal verwandeln

Schon heute werden Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom mit gentechnisch veränderten Immunzellen behandelt. Doch die Wirkung hält leider oft nur kurze Zeit an. Nun haben Forschende in Lausanne ihre Idee, wie die Krebszellen besser und längerfristig kontrolliert werden können, erfolgreich getestet.

Caroline Arber und ihr Mitarbeiter Jan Rath entwickeln eine neue Immuntherapie.

Bei der Behandlung von Blutkrebs hat sich vor knapp zehn Jahren eine Revolution ereignet. Anstatt die Krebszellen mit Medikamenten zu bekämpfen, setzt die Medizin immer mehr auf das körpereigene Abwehrsystem. Für die so genannte CAR-T-Zell Therapie werden den Betroffenen spezielle weisse Blutkörperchen entnommen und gentechnisch mit einem Rezeptoren namens CAR auf der Oberfläche ausgestattet. Die auf diese Weise aufgerüsteten T-Zellen sind nun in der Lage Krebszellen zu erkennen. Danach werden sie in den Körper gespritzt, wo sie sich vermehren und die Krebszellen abtöten. 
 

Wirkung hält leider nur kurze Zeit an 

«Bei Leukämien hat die so genannte CAR-T-Zell Therapie bemerkenswerte und langanhaltende Ergebnisse erzielt», sagt Caroline Arber, die an der Universität Lausanne eine Forschungsgruppe leitet und an einem Tag pro Woche auch als Ärztin am Universitätsspital CHUV Patientinnen und Patienten behandelt. «Auch bei der Behandlung des Multiplen Myeloms gibt es schon vielversprechende Resultate», fährt sie fort. 

Doch leider hält die Wirkung beim Multiplen Myelom, einem Blutkrebs, der im Knochenmark sitzt (siehe Kasten), meist nur kurze Zeit an. «Für den Krankheitsrückfall sind hauptsächlich zwei Mechanismen verantwortlich», führt Arber aus. Zum einen verändern die Krebszellen ihre Oberfläche und schlüpfen dadurch zusehends unter den Radar der gentechnisch veränderten CAR-T-Zellen. Und zum anderen sorgen chemische Signale für eine Umstrukturierung des Knochenmarks, die das Wachstum der Krebszellen begünstigt. Zudem führt die veränderte Umgebung zur Erschöpfung der verabreichten CAR-T-Zellen und hemmt also deren Aktivität. 
 

Tiefer Griff in die Trickkiste 

Mit ihrem Team hat Arber in einem von der Stiftung Krebsforschung Schweiz unterstützten Projekt den Ansatz mit den gentechnisch veränderten CAR-T-Zellen beim Multiplen Myelom weiterentwickelt. Und zwar so, dass gleich beide Schwachstellen der aktuell verfügbaren Behandlungen ausgebessert werden: Die neuen Abwehrzellen können die Krebszellen zuverlässiger erkennen. Und sie zeigen in der veränderten Knochenmarksumgebung keine Anzeichen von Erschöpfung, im Gegenteil: sie werden von den bösen Signalen aktiviert. 

Für die Ausbesserung der beiden Schwachstellen mussten die Forschenden um Arber tief in die gentechnische Trickkiste greifen. Sie statteten die T-Zellen mit einem Gen für einen Rezeptor aus, der gleich zwei verschiedene Oberflächenmerkmale an den Krebszellen erkennt. Für die Krebszellen wird es dadurch deutlich schwieriger, sich unkenntlich zu machen, weil sie dafür gleichzeitig beide Merkmale verändern oder ausschalten müssen. 

Zudem verpassten die Forschenden den T-Zellen ein weiteres Genkonstrukt, dessen Funktion Arber mit einem «molekularen Schalter» beschreibt. Wenn ein löslicher Faktor aus der Umgebung an den Schalter bindet, wird der Schalter angeknipst: Dann stösst er lebensverlängernde Signalwege in den CAR-T-Zellen an und verbessert so ihre Ausdauer. 
 

Längerfristige Tumorkontrolle 

Der Faktor, der für diesen Ovomaltine-Effekt sorgt, heisst VEGF. Die Abkürzung steht für «vascular endothelial growth factor», also auf Deutsch: Wachstumsfaktor für neue Blutgefässe. VEGF ist in den Nischen, wo sich das Multiple Myelom im Knochenmark ausbreitet, in hohen Konzentrationen zu finden. Nähern sich diese doppelt aufgerüsteten CAR-T-Zellen den Krebszellen im Knochenmark, bindet VEGF an den molekularen Schalter. Die stimulierten Abwehrzellen vermehren sich und gewinnen gleichzeitig an Ausdauer. «Dadurch wird eine bessere und längerfristigere Tumorkontrolle erzielt», sagt Arber. 

Hinzu kommt noch ein anderer Effekt: Wenn VEGF an die Schalter bindet, sinkt seine Konzentration in der Umgebung des Multiplen Myeloms. Das wirkt sich auch auf die anderen Zellen im befallenen Knochenmark aus: Ohne diese bösen chemischen Signale normalisieren sich die Strukturen – und die Krebszellen verlieren ihre Nische. «Mit unserem Ansatz verwandeln wir einen bösen Faktor aus der Krebsumgebung in ein Signal, das die Immunzellen bei der Bekämpfung der Krebszellen unterstützt und verstärkt», sagt Arber. 

Dass ihr Ansatz funktioniert, hat sie mit ihrem Team vorerst in Versuchen an Mäusen gezeigt. Dabei mussten die Forschenden die VEGF-Konzentrationen künstlich erhöhen, doch: «Im menschlichen Knochenmark sind die Konzentrationen viel höher, das haben wir in Biopsien von Patientinnen und Patienten überprüft», sagt Arber. Deshalb spricht aus ihrer Sicht eigentlich alles dafür, den Ansatz weiterzuverfolgen – und in der klinischen Anwendung zu prüfen. «Das wird allerdings noch eine geraume Zeit dauern», gibt Arber zu bedenken, denn in ihren T-Zellen stecken gleich zwei verschiedene gentechnische Veränderungen auf einmal. Solche doppelt veränderten Zellen sind noch nirgends zugelassen. «Ob sie auch beim Menschen wirken, muss deshalb Schritt für Schritt untersucht werden», sagt Arber. 

 

Blutkrebs im Knochenmark 

In der Schweiz erkranken jährlich rund 700 Menschen an einem Multiplen Myelom. Dabei entarten spezielle Blutzellen, die so genannten Plasmazellen, im Knochenmark. Wenn sie sich krankhaft vermehren, bilden sie zahlreiche Krankheitsherde, wo die normale Bildung anderer Blutzellen unterbrochen und die Knochen allmählich zerstört werden.