Trotz seines jungen Alters vermittelt Patrick Bergsma den Eindruck, dass er weiss, wovon er spricht. Vielleicht liegt das daran, dass er auch schwierige Dinge wie etwa die Grenzen seines Fachs offen benennt. Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt am Kantonsspital St. Gallen behandelt er Patientinnen und Patienten mit Mundhöhlenkrebs. «Aus Mangel an Alternativen greifen wir dabei immer noch oft auf Cisplatin zurück», sagt Bergsma. «Das ist ein jahrzehntealtes Chemotherapeutikum mit potentiell toxischen Wirkungen auf das Innenohr und auf die Nieren.» Deshalb sei es wichtig, neue Behandlungsmethoden für diese Krebsart ausfindig zu machen.
Beteiligt an der Suche nach neuen Behandlungsoptionen
Weil er sich an dieser Suche beteiligen will, bewirbt sich Bergsma Anfang 2022 bei der Stiftung Krebsforschung Schweiz um ein Stipendium: «Mit meinem Forschungsengagement möchte ich die Prognose von jungen Patientinnen und Patienten mit Mundhöhlenkrebs verbessern», hält er in seinem Antrag fest. Als der Antrag bewilligt wird, zieht Bergsma im September 2022 nach Sydney in Australien. Dort tritt er der Forschungsgruppe von Marina Pajic am angesehenen Garvan Institute for Medical Research bei.
«Das Team um Pajic hat sich mit der Herstellung und Untersuchung von Tumormodellen des Bauchspeicheldrüsenkrebses einen exzellenten Ruf erarbeitet», sagt Bergsma. Nun will das Team das dabei erworbene Wissen nutzen, um neue Modelle für Mundhöhlenkrebs zu züchten. Genau zu diesem Zeitpunkt stösst Bergsma als Hals-Nasen-Ohren-Arzt zum Team. «Ich musste am Anfang noch in meine Rolle finden», sagt Bergsma. Er beschreibt sie als eine Art Übersetzung, denn er bringt die klinische Perspektive ein. Etwa, indem er sich mit den Spezialistinnen und Spezialisten im Labor darüber austauscht, wie ihre Befunde mit bestimmten Symptomen der Erkrankung zusammenhängen.
In Pajics Team ist Bergsma auch das Bindeglied zum grossen Krebszentrum der Stadt, dem Chris O’Brien Lifehouse. Dort arbeitet er mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Kopf-Hals-Chirurgie sowie der Pathologie zusammen. Er ist bei Operationen von Patientinnen und Patienten mit Mundhöhlenkrebs dabei. Aus den herausgeschnittenen Tumoren entnimmt Bergsma Zellen, die sich anschliessend züchten und vermehren lassen. Im Labor erlernt er die dafür benötigten Methoden und Techniken. Er findet es «extrem spannend, sich auf die molekularen Mechanismen zu fokussieren und die Zellen unter dem Mikroskop zu beobachten».
Verhärtungen im Bindegewebe
Während seines zweijährigen Aufenthalts in Sydney gelingt es Bergsma und seinen Kolleginnen und Kollegen, aus den Tumoren Dutzende von Modellen zu generieren. Als sie diese Modelle mit einer breiten Auswahl von Medikamenten testen, erzielen sie mit einem Mittel besonders vielversprechende Resultate. Das Mittel richtet sich nicht gegen die Krebszellen selbst, sondern gegen die Bindegewebszellen in ihrer unmittelbaren Umgebung.
«Uns war aufgefallen, dass Verhärtungen im Bindegewebe mit einer schlechteren Prognose in Zusammenhang stehen», sagt Bergsma. Mit dem getesteten Mittel konnten die Forschenden die Aktivität der Bindegewebszellen drosseln. In Versuchen mit Mäusen führte das dazu, dass die Tumore empfindlicher auf eine Bestrahlung reagierten. «Dieser Ansatz ist eine mögliche neue Therapiestrategie, um die Behandlungsergebnisse bei Patientinnen und Patienten mit verhärtetem Mundhöhlenkrebs zu verbessern», hält Bergsma im Schlussbericht seines Projekts fest. Allerdings steht noch viel Arbeit an, bevor die Wirksamkeit dieser neuen Therapiestrategie am Menschen überprüft werden kann.
Im September 2024 ist Bergsma in die Schweiz zurückgekehrt. Den grössten Teil seiner Arbeitszeit am Kantonsspital St. Gallen verbringt er wieder mit der Behandlung und Betreuung von Patientinnen und Patienten. Bergsma sagt, dass er nun über ein grösseres Grundverständnis der Erkrankung verfügt. Zum Beispiel verstehe er jetzt, «welche molekularen und strukturellen Veränderungen dazu führen, dass sich ein Tumor beim Ertasten mit den Fingern derb anfühlt.»
Sich das Rüstzeug geholt
Gleichzeitig kann er sich weiterhin an ein bis zwei Tagen pro Woche der Forschung widmen. «In das in Australien gestartete Projekt bin ich immer noch involviert», sagt Bergsma. Zudem bringt er am Kantonsspital St. Gallen neue Projekte ins Rollen. Er ist zum Beispiel massgeblich am Aufbau einer Datenbank beteiligt, die Informationen zur Krankheitsgeschichte von über 1000 Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren enthält. «Ich glaube fest daran, dass eine genauere Kenntnis der molekularen Krankheitsmuster lebenswichtige Behandlungsverbesserungen ermöglicht», sagt Bergsma.
Er ist «sehr dankbar für die extrem wertvollen Erfahrungen», die er in Australien gemacht hat. «Durch meinen Einsatz am anderen Ende der Welt ist etwas sehr Schönes entstanden, das nun auch in der Schweiz zum Tragen kommt», meint Bergsma. Denn im Forschungslabor hat er sich das Rüstzeug geholt, um nun selber Projekte auf die Beine stellen zu können. Dazu gehört einerseits, dass er jetzt über die nötigen Kontakte etwa zu Expertinnen und Experten in der Bioinformatik verfügt. Und andererseits, dass Bergsma heute viel besser nachvollziehen kann, was es braucht, um Fortschritte in der Behandlung zu erzielen. Für ihn steht deshalb ausser Frage, dass er fortan «nicht nur die Patientinnen und Patienten von heute behandeln, sondern auch die Therapien der Zukunft vorantreiben» möchte.