Krebsforschung SchweizUnser EngagementWir unterstützen ForschendeBeispielhafte wissenschaftliche VorhabenEr will die Ausbreitung von Tumoren verhindern

Er will die Ausbreitung von Tumoren verhindern

Nicola Aceto untersucht Krebszellen, die im Blut durch den Körper zirkulieren. Mit seinen Forschungsarbeiten hat er aufgezeigt, wie die Bildung von neuen Ablegern – sogenannten Metastasen – verhindert werden kann.

Nicola Aceto und sein Team haben die zirkulierenden Tumorzellen im Visier.

Krebs wird meist erst im fortgeschrittenen Stadium tödlich, wenn er beginnt, sich im Körper auszubreiten und neue Ableger zu streuen. «Neun von zehn Krebstodesfällen sind auf metastasierende Erkrankungen zurückzuführen», sagt Nicola Aceto, Professor für molekulare Onkologie an der ETH Zürich. Genau aus diesem Grund hat sich der in Norditalien geborene Biologe nach seinem Doktorat am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel auf die Untersuchung von Krebszellen spezialisiert, die sich vom Tumor lösen und in Blutgefässe gelangen, um zu versuchen, sich an anderen Stellen im Körper anzusiedeln.

 

Zellhaufen mit einem Medikament auflösen

Solche zirkulierenden Tumorzellen sind im Vergleich mit normalen Blutzellen ausserordentlich selten. Deshalb musste Aceto während eines dreijährigen Forschungsaufenthalts als Postdoktorand an der Harvard Medical School in den USA zuerst ausgefeilte Methoden entwickeln, die es ihm erlaubten, in den Blutproben von Patientinnen und Patienten die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden. Dann machte er vor zehn Jahren eine wichtige Entdeckung: Aus Tumoren in der Brust lösen sich nicht nur einzelne Zellen, sondern manchmal auch ganze Zellhaufen, die mehrere Dutzend Zellen umfassen. Solchen Zellhaufen fällt es viel leichter als einzelnen Tumorzellen, an neuen Orten im Körper Metastasen zu bilden.

Daraufhin kehrte Aceto in die Schweiz zurück, wo er ab 2015 an der Universität Basel eine eigene Forschungsgruppe aufbaute. Mit Experimenten an Mäusen fanden er und sein Team heraus, dass sich die Zellhaufen mit einem Medikament namens Digoxin auflösen lassen. Das Medikament war in der Krebsbehandlung völlig unbekannt, obwohl es in der Kardiologie schon seit Jahrzehnten verwendet wird, um Herzrhythmusstörungen zu beheben. Aceto und sein Team wollten wissen, ob sich die ermutigenden Resultate aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragen lassen. Hierzu spannten die Forschenden mit Ärztinnen und Ärzten an den Universitätsspitälern in Basel und Zürich sowie am Kantonsspital Liestal zusammen.

«Jetzt ist die klinische Studie abgeschlossen. Wir haben die Resultate eben bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht», sagt Aceto, der Anfang 2021 mit seinem Team an die ETH Zürich gezogen ist. Weil die Ergebnisse der Studie noch nicht veröffentlicht sind, mag er noch nicht alle Details preisgeben, aber schon mal so viel verraten: «An der Studie nahmen Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs teil. Wir konnten zeigen, dass mit einer Digoxinbehandlung tatsächlich eine teilweise Auflösung der im Blut zirkulierenden Tumorzellhaufen erreicht werden kann», sagt Aceto. «Die Haufen wurden kleiner, aber sie waren nicht ganz weg.» Diese vielversprechenden Resultate ermutigen ihn, die eingeschlagene Richtung weiterzuverfolgen. Aceto hat kürzlich ein Spin-off-Unternehmen gegründet, das Substanzen entwickeln soll, die noch besser als Digoxin wirken. «Das wird allerdings noch einige Jahre dauern», meint Aceto.

 

Noch unbekannte Signale entschlüsseln

In der Zwischenzeit sind er und sein Team mit zahlreichen anderen Fragen beschäftigt, die sich im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Tumoren stellen. Ein wichtiger Teil dieser Forschungsarbeiten wird mit Geldern von Spenderinnen und Spendern finanziert. Aceto ist ihnen «wirklich sehr dankbar». Denn: «Diese Unterstützung ermöglicht uns, den Mechanismen der Metastasierung auf den Grund zu gehen. Und so neue Behandlungsoptionen aufzuzeigen, mit denen sich das tödliche Fortschreiten von Krebserkrankungen aufhalten oder sogar verhindern lässt.»

Erst vor Kurzem veröffentlichten er und sein Team zum Beispiel Resultate, die nahelegen, dass die innere Uhr den Ablöseprozess aus dem Tumor kontrolliert: Tagsüber begeben sich viel weniger Krebszellen auf die Reise als nachts, wenn der restliche Körper ruht. Für Aceto bedeuten diese Ergebnisse nicht, dass Krebsbetroffene nie mehr schlafen sollen, sondern dass die Krebszellen offenbar auf Signale warten, bevor sie sich abtrennen. «Wir wollen diese noch unbekannten Signale entschlüsseln», sagt Aceto. Mit diesem Wissen liessen sich die Krebszellen in Zukunft vielleicht auch nachtsüber vom Reisen abhalten – und so die Bildung von Metastasen unterbinden.

In einem neuen, von der Stiftung Krebsforschung Schweiz geförderten Projekt eröffnen Aceto und sein Team ein weiteres Forschungsfeld, indem sie die bisherigen Erkenntnisse zu den zirkulierenden Zellhaufen, die sich ausschliesslich auf den Brustkrebs beziehen, auf andere Krebsarten ausweiten wollen. In Zusammenarbeit mit Spezialistinnen und Spezialisten vom Universitätsspital Heidelberg untersuchen sie nun Zellhaufen, die von Tumoren der Bauchspeicheldrüse ins Blut abgesondert werden. «Das ist eine sehr aggressive Krebsart, die oft Metastasen streut und deshalb leider immer noch meist innert weniger Jahre tödlich endet», sagt Aceto. «Genau für diese Patientinnen und Patienten ist es besonders wichtig, dass wir die zirkulierenden Tumorzellen auf Schwachstellen abklopfen – und nach neuen therapeutischen Ansatzpunkten Ausschau halten.»