Jedes Jahr sterben rund 1700 Menschen in der Schweiz an Darmkrebs. «Das muss nicht sein», sagt der Gastroenterologe Kaspar Truninger. «Denn in einem frühen Stadium ist die Erkrankung heilbar.» Allerdings verursacht sie dann noch keine Symptome – und bleibt deshalb in vielen Fällen unerkannt. Das will Truninger ändern: Er analysiert die molekularen Spuren, die ein sich entwickelnder Tumor im Erbgut hinterlässt, lange bevor er sich durch Krankheitserscheinungen wie etwa langanhaltende, krampfartige Bauchschmerzen erkenntlich macht.
Spuren im Erbgut lesen und verstehen
Die wichtigsten Untersuchungsmethoden zur Früherkennung von Darmkrebs sind der Blut-im-Stuhl-Test und die Darmspiegelung. Ist der Blut-im-Stuhl-Test auffällig, ist eine Darmspiegelung, eine so genannte Koloskopie, angezeigt, bei der die Ärztin oder der Arzt das Innere des Darms begutachtet – und dabei auch allfällige Tumorvorstufen, die so genannten Polypen, entfernen kann. Truninger und seine Kolleginnen und Kollegen aus Basel und Lugano haben vor sieben Jahren begonnen, eine beachtliche Sammlung von über 1600 Darmschleimhautproben anzulegen. Die Proben stammen von Personen, die sich einer solchen Darmspiegelung unterzogen haben.
Seither beugen sie sich mit den modernsten Methoden der Molekularbiologie über das in den Proben enthaltene Erbgut. Bei den Spuren, die das Team um Truninger lesen und verstehen will, handelt es sich um so genannte epigenetische Methylierungsmuster. Methylgruppen sind kleine Anhängsel, die markieren, wann welche Gene in einer Zelle aktiv oder inaktiv sind. Tatsächlich werden im Dickdarm zahlreiche vor Darmkrebs schützende Gene mit zunehmendem Alter stillgelegt.
Truninger spricht von einer Methylierungssignatur, die sich im Laufe des Lebens verändert. Dabei auseinanderzuhalten, welche Muster zu einem gesunden Alterungsprozess gehören und welche hingegen auf eine besorgniserregende Entwicklung zu einer Darmkrebserkrankung – eine so genannte präkanzeröse Läsion – hindeuten, ist alles andere als trivial. Dementsprechend stützt sich das Team um Truninger für die Analyse der riesigen Datenmenge auch auf maschinelles Lernen ab.
«Wir wollen die Spuren lesen und verstehen, die ein sich entwickelnder Tumor im Erbgut hinterlässt, lange bevor er sich durch Krankheitserscheinungen erkenntlich macht.»
In den Darmfalten versteckte Polypen
Mit diesen Methoden der so genannten künstlichen Intelligenz können die Forschenden aus den Spuren im Erbgut der gesunden Darmschleimhaut in etwa drei von vier Fällen korrekt ableiten, ob im entsprechenden Darmabschnitt eine präkanzeröse Läsion vorliegt oder nicht, wie Truninger im Abschlussbericht seines Projekts schreibt. Der Darmspezialist hofft, dass sich diese Unterscheidungsgenauigkeit mit noch mehr Daten auf über 90 Prozent steigern lässt. «Ab dann wird es klinisch relevant», sagt Truninger. Denn mit solchen hohen Werten könnte die Methode die Früherkennung von Darmkrebs verbessern. Heute bleiben schätzungsweise fünf Prozent der grösseren Polypen und bis zu 20 Prozent der kleineren Polypen bei einer Koloskopie unentdeckt, weil sie sich in den Darmfalten verstecken. «Sie werden verpasst», sagt Truninger.
Das kann böse Folgen haben, weil bei einer unauffälligen Darmspiegelung die nächste Vorsorgeuntersuchung erst in zehn Jahren wieder ansteht. «In diesem Intervall kann sich aus den verpassten Vorstufen ein Krebs entwickeln», sagt Truninger. Ihm schwebt vor, dass die Ärzteschaft in Zukunft nicht nur Koloskopien vornimmt, sondern gleichzeitig auch das Erbgut einer Gewebeprobe aus der Darmschleimhaut untersuchen lässt. «Wenn die epigenetische Signatur auf das Vorhandensein einer Läsion hindeutet, dann sollte das Intervall bis zur nächsten Darmspiegelung verkürzt werden», hält Truninger fest.
Projekt-Nummer: KFS-4301-08-2017